NEUN

 

9.1  Was bedeutet die Evolution für den Menschen?

1In der Hylozoik studieren wir die Evolution im größtmöglichen Zusammenhang: als einen Teil des kosmischen Manifestationsvorganges. Dies ist notwendig, um uns eine richtige Auffassung ihres Zieles zu geben. Wir dürfen jedoch die menschliche Perspektive nicht vergessen. Wenn die Hylozoik für uns einen praktischen Wert haben soll, muß sie uns jetzt und in diesem Leben dazu verhelfen können, besser und reicher zu leben. Dieser Abschnitt und der folgende werden deshalb die nächstliegenden Möglichkeiten zur Selbstentwicklung des Menschen behandeln.

2Ganz allgemein kann man sagen, daß sich der Mensch im gleichen Ausmaß entwickelt, wie er alle jene positiven Eigenschaften, die zum Menschenreich gehören, stärkt, aufbaut und zur Tätigkeit anregt. Negative (oder schlechtere) Eigenschaften beruhen letzten Endes darauf, daß die entgegengesetzten positiven nicht zu beherrschender Stärke aktiviert worden sind: Feigheit wird möglich aufgrund von unentwickeltem Mut, Haß entsteht aus mangelnder Liebe usw. Wenn alle diese positiven Eigenschaften aus menschlicher Sicht vollendet worden sind, ist das Individuum tatsächlich ins fünfte Naturreich übergegangen.

3Daß sich der Mensch zu höheren Niveaus entwickelt, bedeutet in erster Linie nicht, daß er „esoterische“ oder mystische, für die meisten unbegreifliche Eigenschaften erobert. Vor allem anderen besteht Evolution darin, daß der Mensch alle jene positiven Eigenschaften, die er in irgendeinem Ausmaß bereits besitzt, vertieft und verstärkt. Der Mensch ist verhältnismäßig mutig, ausdauernd, treu, selbstlos, dankbar, urteilsfähig, rechtschaffen usw. Er ist gleichzeitig verhältnismäßig feige, erschöpft, treulos, selbstsüchtig, undankbar, urteilslos und unrechtfertig. Auf den zwei niedrigsten Stufen sind die negativen Eigenschaften stärker als die positiven. Auf der Kulturstufe beginnen die positiven langsam die Oberhand über die negativen zu gewinnen. Auf der Idealitätsstufe werden die negativen zur Gänze überwunden.

4Evolution ist jener Vorgang, in welchem das gelegentlich Überbewußte zum beständig Wachbewußten wird. Die Grenze zwischen wachbewußt und überbewußt ist stets individuell und durch das Entwicklungsniveau, Ernte und eigene Aktivierung des Individuums bedingt. Bei den allermeisten ist dieses Überbewußte heutzutage im Wesentlichen emotional (48:2,3) und mental (47:4,5). Deshalb ist es am wichtigsten, das nächsthöhere Emotionale (48:3), die positiven einheitsfördernden Gefühle und das nächsthöhere Mentale (47:5), das Perspektivdenken, den gesunden Menschenverstand, zu aktivieren.

5Evolution ist Selbstverwirklichung in der physischen Welt. Es ist das menschliche, physisch wachbewußte Ich, das Bewußtsein der Monade im physischen Gehirn, welches durch eigene Arbeit edlere Eigenschaften, tieferes Verständnis, umfassendere Tauglichkeit, größere Energie bekommt. All dies muß in der physischen Welt und im Zusammenspiel mit anderen zu klarem Ausdruck kommen. Für das Individuum können sich Erlebnisse und Leistungen in der privaten, inneren Sphäre beliebig entscheidend ausnehmen. Führen sie aber nicht dazu, daß es im Physischen einen besseren Einsatz macht, zu größerer Hilfe auch für andere wird, so ist die Gefahr groß, daß die „geistigen Erlebnisse“ Selbstbetrug bedeuten.

6Evolution bedeutet für das Individuum eine immer größere Breite in der Fähigkeit, Probleme zu lösen. Das Leben ist eine scheinbar endlose Reihe von Problemen und Aufgaben, die der Mensch zu lösen hat. Auf keinem Niveau hören die Probleme auf, auf keinem Niveau kommt der Mensch zur Ruhe, denn damit würde die Evolution stehen bleiben. Die Lebensprobleme sind objektiv. Sie treffen den Menschen, unbeschadet seiner eigenen falschen Auffassung eigener Lebensaufgabe, seiner stets einseitigen Interessen, beschränkten Neigungen. Solche Einseitigkeiten bedeuten stets blinde Flecke im Urteil oder lahme Finger im Handgriff. Wenn der Mensch verabsäumt hat, sich wesentliche Eigenschaften und Fähigkeiten anzueignen oder Tatsachen gegenüber gewollt die Augen verschließt, wird er vom Schicksalsgesetz in Lagen versetzt, wo er gezwungen wird, gerade jene mißachteten (und verachteten!) Eigenschaften und Kenntnisse zu erwerben.

7Evolution ist ein Vorgang, der zu einem höheren Maß an Eigenaktivität führt. Auf niedrigeren Stufen, wo die Mehrzahl noch immer steht, ist der Mensch überwiegend ein passives Erzeugnis aus Eindrücken von der Umwelt her und Impulsen von seinem Unterbewußten. Er ist Sklave des telepathischen Massendruckes von Seiten der „allgemeinen Meinung“ und automatischer Reaktionen in seinen Hüllen. Selbstaktivierung bedeutet, daß die Menschenmonade mehr und mehr selbständig zu fühlen und zu denken lernt. Damit macht der Mensch die ersten Schritte zur Meisterung des Bewußtseins der Hüllen, sodaß er zuletzt selbst bestimmen kann, was er fühlen und denken will.

8Evolution ist eine allmähliche Freimachung von Illusionen und Fiktionen. Die Fiktionen des Intellekts verlieren ihre Macht, wenn der Mensch Kenntnis vom esoterischen Wissen um die Wirklichkeit bekommt und nach und nach die eingewurzelte Neigung, Ansichten mit Tatsachen, abstrakte Theorie mit greifbarer Wirklichkeit, Spekulation mit Wissen zu verwechseln, los wird. Schwieriger ist es, den Illusionen zu Leibe zu rücken. Sie sind emotionale Einschätzungen, welche weg vom Ziel führen, den Gesetzen für Freiheit, Einheit, Selbstverwirklichung und Aktivierung entgegenarbeiten, lebens- und wissensfeindliche Einstellungen schaffen. Sie sind falsche Einstellungen zu Besitz („Geld“), Ansehen („Ehre“) und Macht. Die esoterischen Lehrer haben uns eingeschärft, daß die wirksamste Freimachung von den Illusionen durch selbstloses Dienen erreicht wird.

9Evolution ist Verwirklichung. Gewiß, es heißt Bewußtseinsentwicklung. Aber Evolution umfaßt ebensoviel den Kraft- oder Bewegungsaspekt. Das Bewußtsein kann sich allein nicht zu immer höherem Grad von Wahrnehmung und Verständnis entwickeln. Es muß auch lernen, die immer höheren Energien zu gebrauchen, die entsprechenden Willensarten zu erwerben. Wozu ist Allwissenheit ohne Allmacht gut? Nach der Hylozoik entwickelt sich der Mensch nur in dem Maße, wie er verwirklicht, was heißen soll: größere Fähigkeit zu handeln erlangt. Die physische Welt ist am wichtigsten. In dieser Welt ist es, wo der Mensch sein Entwicklungsniveau zeigt, indem er anderen dient, ihnen hilft, sie erhebt.

10Mit gewöhlichem menschlichem Maß gemessen, ist die Evolution ein unerhört langsamer Vorgang. Hunderte von Inkarnationen können ohne merkliche Fortschritte verlaufen. In erster Linie beruht dies auf zwei Faktoren: der abstoßenden Emotionalität und der passiven Mentalität. Oder einfach ausgedrückt: Haß und Dummheit. Erst wenn der Mensch beginnt, bewußt danach zu streben, sich zu bessern, kann seine Entwicklung ernstlich in Fahrt kommen. Das Aktivierungsverfahren bietet ihm hierfür das Werkzeug an.

 

9.2  Gleichgewicht ist notwendig

1Evolution soll zu besserem und nicht schlechterem Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bewußtseins- und Energiearten des Menschen führen. Der Mensch ist eine Ganzheit physischer, emotionaler und mentaler Natur. Soll er sein Ziel im Menschenreich, die Aktivierung seiner potentiellen kausalen Natur (47:2,3) erreichen, so muß seine physischen, emotionalen und mentalen Vermögen zu höchster Ausdruckskraft gelangen: physische Gesundheit und Lebenskraft, emotionale Liebe und mentale Intelligenz. Wenn irgendeine dieser Lebensäußerungen vernachlässigt wird, geht der Mensch einer notwendigen Zugkraft nach oben verlustig, und wenn irgendeine unterdrückt wird, bedeutet dies, daß Energien in den Hüllen eingesperrt und damit zu Blockierungen für herabströmende, belebende Kausalenergien werden. Die Folge ist verringerte Lebenskraft, Krankheit, Niedergedrücktheit, fixe Ideen.

2Der Organismus muß das Seine bekommen. Bewegung, frische Luft, Entspannung, Freiheit von Zeitdruck und Spannungszuständen, ordentlicher und regelmäßiger Schlaf (soviel als möglich außer Hauses) sind besonders wichtig zu beachten für alle, die „geistig“ arbeiten.

3Die Bedeutung der Ernährungsfrage wird von geistigen Suchern, die noch nicht die ausgleichende Schau des Perspektivdenkens erlangt haben, oft übertrieben. Jedermann möge jene Nahrung, die ihm beste Wirkkraft in der physischen Welt gibt, zu sich nehmen. Der Organismus, den jeder einzelne geerbt hat, ist ungleich jedem anderen und fordert deshalb individuelle Behandlung.

4Das Uninteresse des Mystikers für die höhere Mentalaktivierung (47:5) und der Unwille des einseitigen Intellektualisten, das höhere Emotionale (48:3) zu pflegen, sind ebensogroße Irrtümer. Der Mystiker entbehrt oft des gesunden Menschenverstandes. Er deutet seine "Offenbarungen" in Richtung auf das rein Unsinnige zu: „Ich bin der kosmische Christus“, „die Welt ist nur unsere Gedankenschöpfung“ usw. Der Intellektualist landet oft in negativer Emotionalität, Zuständen andauernder Gereiztheit und Verachtung beim Vergleich zwischen sich selbst und anderen. Damit kann er seinen überlegenen Intellekt widernatürlich lebensfeindlichen Zwecken zuwenden.

5Etliche der geistigen Sucher unserer Tage sind der Verblendung, man könne höheres Bewußtsein erreichen, indem man seine sogenannte niedrigere Natur mißhandele, zum Opfer gefallen. Sicherlich werden wir einmal in der Zukunft aller Bewußtheit niedriger als der mentalen „entwachsen“ sein. Das wird aber erst dann der Fall sein, wenn wir mit objektivem Selbstbewußtsein in unserer Kausalhülle arbeiten können und dann ganz natürlich das Interesse am Emotionalen verloren haben werden. Glauben wir, daß wir höheres Bewußtsein durch Verleugnung des niedrigeren erreichen, so verwechseln wir Ursache und Wirkung. Das Kind wird nicht dadurch erwachsen, indem man es am Spiel hindert, sondern es wird dadurch nur gehemmt. Gerade durch das Spiel kann es ja reifen, worauf es die Spielsachen ohne Entbehrung an jüngere Geschwister weggibt. Nicht indem wir Gefühle, Triebe, unsere natürliche Lust am Spiel unterdrücken, erlangen wir höhere Fähigkeit, sondern indem wir diese schrittweise in Richtung auf das Ideale zu veredeln.

 

9.3  Das Problem des Bösen

1Theologie, Philosophie und Okkultismus haben auf verschiedene Weise versucht, das Problem des Bösen zu lösen. In der Regel hat dies zu Unsinn geführt. Drei Beispiele dafür:

2Der Mensch ist in Sünde geboren und zu ewiger Hölle bestimmt, falls er nicht eine gewisse Religion annimmt. Das Böse ist eine Illusion, die nur  besteht, solange wir an sie glauben. Das Böse ist ein ewiges Prinzip im Dasein, notwendig dafür, daß das Gute bestehen können soll. 

3Nach der Hylozoik ist das Böse auf unserem Planeten eine fürchterliche Wirklichkeit und besteht in der Kränkung des Rechtes alles Lebenden. Das Böse zeigt sich bereits im Parasitenleben des Pflanzenreiches und dem Raubleben des Tierreiches. Im Menschenreich ist es viel weiter entwickelt und zeigt sich nicht allein in Unduldsamkeit, Unterdrückung, Ausnützung, Tötung u.s.w, sondern auch im wohlorganisierten und intelligenten Widerstand gegen jegliche wesentliche Lebenskunde.  

4In tiefster Schau ist das Böse die Unfähigkeit des Individuums, die Einheit mit anderem Leben wahrzunehmen. Dies ist Unfähigkeit zu Mitgefühl und Identifizierung. Es ist Unfähigkeit einzusehen, daß jedes Individuum eine einzigartige Eigenart ist, welche ein selbstverständliches Anrecht auf Entwicklung, Freiheit und der Suche nach Glück hat. Haß, Abrücken, Verachtung entsteht, wenn sich ein Mensch auf (wirkliche oder von der Phantasie aufgebaute) negative Züge bei einem anderen Menschen konzentriert und von den positiven, die bei jedermann stets zu finden sind, absieht. Haß entsteht auch, wenn ein emotional negativer Mensch an seine Kleinheit erinnert wird, beispielsweise nur, indem er ein höherstehendes Individuum trifft. Gefühle von Neid und Unterlegenheit gegenüber denen, die höherstehen oder es besser haben, sind in unserer Zeit starke Beweggründe des Hasses. Ganze politische Ideologien sind als Rationalisierungen dieser Illusionen entstanden.

5Leid gibt es nur in der physischen und der emotionalen Welt, und auch dort nur in deren drei niedrigsten Molekülarten (49:5-7 und 48:5-7). Allein physisches Leid kann unheilbar sein: Schmerz, Altern, Tod. Emotionales Leid kann immer durch einen Akt bestimmten Willens aufgehoben werden, durch das Weigern zu leiden, Aufmerksamkeit dem zu verweigern, was Leid verursacht. Das setzt die Fähigkeit, das eigene Bewußtsein zu lenken, voraus. Diese Fähigkeit kann eingeübt werden.

6Das Böse und Leid sind Evolutionsprobleme. Auf niedrigeren Stufen sind sie unvermeidlich, weil der Mensch in Unkenntnis der Lebensgesetze ist und unfähig, sie anzuwenden. Auf höheren Stufen lernt er, nach den Lebensgesetzen zu arbeiten und sät deshalb mehr Gutes als Böses. Dennoch wird er noch immer von Leid als Folge alter, schlechter Saat getroffen. Ehe die Monade ins fünfte Naturreich übergehen kann, muß sie all ihre schlechte Saat im Menschenreich ausgetilgt haben, entweder durch entsprechende schlechte Ernte oder freiwilliges Gutmachen (das Verfahren auf höheren Stufen). Im fünften Naturreich und den immer höheren göttlichen Reichen gibt es nichts Böses und kein Leid von solcher Art, welches auf der Selbstsucht der Individuen beruht.

7Gut und böse decken sich im Großen und Ganzen mit dem, was die Evolution und die Einheit fördert, beziehungsweise ihr entgegenwirkt. Nachdem die Menschen auf verschiedenen Entwicklungsniveaus stehen, braucht das, was für ein gewisses Individuum von übel ist, dies nicht für ein anderes zu sein. Ein Beispiel: Selbstbehauptung ist notwendig und eine gute Sache auf den niedrigeren Barbarenniveaus, um das erste schwache Selbstbewußtsein zu festigen. Auf höheren Stufen, wenn der Mensch sowohl Selbstvertrauen wie auch Selbstbestimmtheit erworben hat, wird die Selbstbehauptung zu etwas üblem und hindert seine Expansion im Gruppenbewußtsein. Für das Individuum sind alle niedrigeren Niveaus, die er in der Evolution durchgemacht hat, etwas Böses. Das ganz besonders Böse ist jenes Niveau, welches es gerade hinter sich gelassen hat und welches noch eine gewisse Anziehung nach unten zu ausübt. Gut sind alle höheren Niveaus, die es noch nicht erobert hat. Das ganz besonders Gute ist jenes Niveau, welches zu erobern er gerade dabei ist, sein konkretes Ideal, welches ihn nach oben zieht. Dies zeigt, daß gut und böse relativ sind. Auf jedem Niveau sind jedoch gut und böse in ihrer Gegensätzlichkeit absolut. Sie müssen es sein, wenn der Mensch nicht betreffs Recht und Unrecht im Chaos landen soll.              

 

9.4  Die Lebensgesetze in der Evolution

1Auf niedrigeren Stufen geht die Evolution unbewußt und automatisch vor sich. Auf höheren Stufen kann der Mensch wirksam an der Evolution arbeiten, indem er die Lebensgesetze anwendet. Alle sieben Lebensgesetze arbeiten in der Evolution des Menschen stets zusammen. Sie arbeiten aber untereinander sehr verschieden. Drei Gesetze – das Entwicklungsgesetz, das Schicksalsgesetz und das Erntegesetz – wirken über lange Reihen von Inkarnationen, ohne daß der Mensch sie in ihren Wirkungen direkt beeinflussen kann. Sie bestimmen die Grundbedingungen für jede Inkarnation. Aber innerhalb der unabdinglichen Begrenzungen, die durch Entwicklungsniveau, Schicksal und Ernte gegeben sind, kann der Mensch oft die vier übrigen Gesetze – Freiheitsgesetz, Einheitsgesetz, Selbstgesetz und Aktivierungsgesetz – wirksam und zielbewußt anwenden. Damit kann er die anderen Gesetze indirekt beeinflussen. Vom Gesichtspunkt der Entwicklung aus sind damit diese vier Gesetze die für den Menschen wichtigsten.

2Es ist eine falsche Auffassung des Erntegesetzes, daß alles, was uns im Leben trifft, nur Ernte (sogenanntes Karma) sein solle. Das Freiheitsgesetz macht ein sogenanntes blindes Schicksal unmöglich. Wir können unser scheinbar unvermeidliches Schicksal zu 99 Prozent ändern. Um dies zu tun, erfordert es aber positive Lebenseinstellung, die Einsicht, daß wir die Fähigkeit zur Überwindung scheinbar unmöglicher Hindernisse haben.

3Der Zweck des Erntegesetzes ist, uns das Leben verstehen zu lernen, uns soweit zu bringen, daß wir die Einheit respektieren, indem es uns handgreiflich zeigt, was die Folge sein wird, wenn wir uns gegen die Einheit vergangen haben. Haben wir diese Einstellung, so sollten wir Leid und Mißerfolge mit Fassung und auf positive Weise entgegennehmen können, sie als Prüfungen auffassen, die wir durchmachen müssen, um innere Stärke und Ausdauer, notwendige Eigenschaften und Fähigkeiten zu bekommen.

4Üblich ist, daß wir die Ernte negativ nehmen. Damit verschlimmern wir die Wirkung der Ernte und säen neue schlechte Saat. Das Leid des Menschen ist sicherlich selbst verursacht, aber nur etwa ein Zehntel des Leids ist schlechte Ernte. Die restlichen neun Zehntel können der negativen Art und Weise des Menschen zugeschrieben werden, auf welche er der schlechten Ernte begegnet: mit Trauer, Unruhe, Furcht,  Niedergedrücktsein, Gram, Haß, Rachlust u.s.w. Die Phantasie vergrößert und die Phantasie läßt uns das Leid viele Male aufs Neue erleben. Auf der Kulturstufe erwacht der Mensch zur Einsicht, daß er Überwachung des Bewußtseins lernen muß, Gedanke, Gefühl und Phantasie bewußt zu lenken. Damit hat er die wirksamste Waffe im Kampf gegen das Leid entdeckt. Dann kann er lernen, das allermeiste Leid zu besiegen.

 

9.5  Positivierung

1Bereits in den untermenschlichen Reichen ist es der Monade gelungen, eine Grundneigung zu erwerben. Diese ist entweder anziehend (positiv) oder abstoßend (negativ). Mit anziehender Grundneigung strebt die Monade instinktiv nach Anpassung an umgebende Wesen, weil sie – wenn auch nur dunkel – ihre unabdingliche Einheit mit ihnen ahnt. Mit abstoßender Grundneigung strebt die Monade danach, sich gegen das umgebende Leben zu behaupten, es auszunutzen und zu beherrschen. Die zwei Grundneigungen entwickeln sich im Menschenreich weiter zu Liebe und Haß, Wille zur Einheit und Wille zur Macht. Jene Menschenmonaden, welche die abstoßende Neigung haben, müssen sie überwinden und sie durch anziehende ersetzen, bevor sie die Kausalstufe erreichen können. Dies erfordert eine gigantische Arbeit, ganz besonders deshalb, weil die Mehrzahl der Menschen auf unserem Planeten die abstoßende Neigung erworben hat. Der Minderheit, welche an der Verstärkung oder dem Erwerb der Anziehung arbeitet, wird es nicht leichtgemacht, wenn die Umgebung mit ihrer individuellen Negativität oder kollektiven telepathischen Beeinflussung dem Streben entgegenwirkt. Abstoßung, kollektiv und individuell, ist das größte Hindernis für die Evolution auf unserem Planeten.

2Hieraus geht hervor, daß die Arbeit für die Anziehung – Einheit, Liebe, Verständnis, Duldsamkeit, Brüderlichkeit, Zusammenarbeit – die wichtigste Evolutionsarbeit für den einzelnen wie auch für das Kollektiv ist. Der notwendige Grund für diese Arbeit ist das Streben des einzelnen Menschen nach positiver Lebenseinstellung.

3Die Einstellung unseres Bewußtseins zu allem im Leben, zu anderen und zu uns selbst, ist nämlich entweder negativ oder positiv.

4Zur negativen Einstellung (herkömmlich „das Böse“ genannt) gehört alles, was den Gesetzen für Freiheit, Einheit, Entwicklung und Selbstverwirklichung entgegenwirkt. Dorthin gehören alle Neigungen, welche das Recht des Menschen, so zu leben, wie er für gut findet (so lange er nicht das Recht anderer auf das gleiche kränkt) begrenzen wollen. Dorthin gehören alle Forderungen des Moralismus' betreffs gewisser Lebensführung oder Anpassung an das Gebräuchliche, alle Hindernisse für Wissenssuche, alles, was das Streben des Menschen nach höheren Niveaus hemmt, alle diktatorischen, totalitären und autoritären Neigungen (abgesehen von notwendigem Eingreifen gegen die Kränker der Rechte anderer), alles, was dem Menschen Furcht, Schwarzseherei, Mißmut und Gefühl der Sinnlosigkeit (moderne Kunst bietet reichlich Beispiele) eingeben will, jeglicher Klatsch, Verleumdung und Schnüffelei im Privatleben anderer, alles Mißtrauen und alle Kleinlichkeit. Und vor allem anderen: jegliches Verurteilen und Moralisieren.

5Zur positiven Einstellung (herkömmlich „das Gute“ genannt) gehört alles, was in Einklang mit den oberwähnten Lebensgesetzen arbeitet. Die positive Einstellung strebt nach liebevollem Verständnis für alles Menschliche, strebt danach, in allen das Beste zu sehen und will folgerichtig von den schlechteren Seiten absehen. Sie nimmt Abstand davon, über den Charakter und das Handeln der Menschen zu moralisieren und sie zu verurteilen, nachdem sie tiefer gesehen hat und weiß, daß die Fehler immer allgemein menschlich sind, daß wir nur das sehen, was wir selber haben, daß, wer jemand anderen verurteilt, nur sich selbst verurteilt. Nachdem alles missverstanden werden kann, muß hier klar heraus gesagt werden, daß die positive Einstellung nicht Neutralismus oder Schlappheit gegenüber Rechtskränkungen bedeutet. Der positive Mensch tut sein Bestes, Haß, Lüge und Gewalt entgegenzuwirken und greift entschlossen auf Seiten des Gekränkten ein, strebt aber gleichzeitig danach, den Kränker zu verstehen und nicht zu verurteilen – für diese Einstellung ist es notwendig, zwischen Sache und Person, dem Fehler und dem Fehlenden unterscheiden zu können. Die positive Lebenseinstellung baut auf Lebensvertrauen und Selbstvertrauen auf und tut ihr Bestes, anderen den gleichen Geist einzuflößen. Sie will den Menschen ihre unerhörten Möglichkeiten aufzeigen und sie hervorheben, das, was uns Kraft gibt, Mut und Freude; uns helfen, die eingewurzelte Neigung, uns auf Hindernisse und Mißlingen zu fixieren, loszuwerden.

6Wir können niemals zu viel tun in der Arbeit für gesteigerte Positivität bei uns selbst und anderen. Hier folgen einige praktische Ratschläge, wie man arbeiten kann.

7Vom Glück. Alle Menschen streben nach Glück. Es ist alte Weisheit, daß das Glück zu uns kommt, sobald wir aufgehört haben, es für eigen Teil zu jagen, wenn wir leben, um andere glücklich zu machen. Das Glück liegt nicht in äußeren Dingen und Umständen, sondern in innerer

8Genügsamkeit. Wir werden glücklicher im gleichen Maße, wie wir uns von unserer Unzufriedenheit, unserem Neid, unseren Forderungen an andere und ans Leben freimachen.

9Nimm das Unvermeidliche an! Gewisse Dinge stehen in unserer Macht, die meisten tun es nicht. Es hilft nichts, über das Unvermeidliche zu klagen, zu trauern, dagegen anzustrampeln, anders zu wünschen. Eitler Wunsch stiehlt vom Willen, jener Kraft, deren wir so wohl bedürfen, um dort einen positiven Einsatz zu machen, wo wir tatsächlich einen machen können.

10Vom Leid. Leid ist unvermeidlich, solange wir Menschen sind. Wir sollen grundsätzlich, ausnahmslos, unabhängig von eigener Sympathie oder Antipathie gegenüber dem Leidenden danach streben zu helfen, wann und wo wir können. In tiefster Schau ist das Leid stets selbst verursacht durch Vergehen gegen die Lebensgesetze, doch ist es eine falsche Auffassung der Lebensgesetze, von Hilfe Abstand zu nehmen mit dem Hinweis darauf, daß es „das Karma des Leidenden ist“. Wir sind nämlich die Vertreter der Lebensgesetze, wenn wir dem Leid abzuhelfen suchen.

11Von den Angriffen anderer. Wenn wir den Angriffen, der Kritik oder dem Tadel anderer Menschen ausgesetzt werden, begegnen wir in 99 Fällen von 100 Abstoßung mit Abstoßung: entweder angreifend geben wir mit entsprechenden Grobheiten zurück oder depressiv und wir wälzen uns im Selbstmitleid. Es gibt jedoch ein drittes Verfahren, welches positiv aufbauend und für beide Parteien entwickelnd ist: unpersönliches Mitgefühl. Dann horchen wir auf die Kritik etwa in diesem Geiste: „Ich kann etwas aus dem da lernen, wie übertrieben und verdreht es auch sein mag. Ich erfahre, was andere als meine Mängel auffassen, was mir bei deren Überwindung helfen kann. Ich lerne etwas darüber, wie Menschen funktionieren. Ich übe mich in der Tugend der Unverwundbarkeit.“ Und vor allem anderen: „Ich mache das Beste aus der Beziehung zu diesem Menschen da, indem ich Zorn mit Ruhe begegne, denn dann kann er nichts anderes tun als es später bereuen, sodaß wir wieder Freunde werden können.“ Wir haben Verantwortung für einander. Begegnen wir Unfreundlichkeit mit Unfreundlichkeit, tragen wir unfehlbar dazu bei, daß der andere in einem negativen und quälenden Zustand festsitzt.

12Von der Furcht zu mißlingen, diesem schwerwiegenden Hindernis der Evolution. Allzu oft unterlassen wir es, zu handeln, zu tun was wir können aus Furcht, etwas falsch zu machen. Die Hylozoik gibt uns das theoretische Verständnis dafür, daß der Mensch ein sehr unvollkommenes Wesen ist, nachdem er sich in Entwicklung befindet. Auf irgendeine Weise hängen wir aber an dem lebensfeindlichen Moralismus fest (verstärkt durch die Forderung der Vollkommenheit des  welcher keine offenbaren Fehler macht". Das Unsinnige in dieser Anschauung geht daraus hervor, daß der Untätige, welcher zusieht, wenn Unrecht begangen wird, klarerweise „keinen Fehler macht“. Passivität und Unterlassung haben nach dem Erntegesetz ihre Folgen und keineswegs die gelindesten. Eine Art und Weise, von diesem verdrehtem Passivismus wegzukommen, ist, sich selbst immer und alleweile einzureden: „der Wert, den ich mir selbst gebe, hängt nicht von meinen sogenannten Mißerfolgen ab, sondern von meinen ehrlichen Versuchen und meinem ständigen, tätigen Streben vorwärts.“

13Warte damit, anderen die Schuld für die Probleme anzulasten! Suche lieber die Fehler bei dir selbst, wenn du sie überhaupt suchen sollst! Zögere nicht zu handeln! Tu es jetzt!

14Vom Selbstvertrauen. In der Regel sind wir allzu abhängig von den Ansichten anderer über uns und ihrer Schätzung unserer Person. Dann streben wir danach, anderen zu Gefallen zu sein und haben einen inneren Zwang, unser Handeln vor anderen zu rechtfertigen. Unser Selbstvertrauen braucht Stärkung. Ein guter Anfang ist es, grundsätzlich davon abzustehen, anderen Einblick in unser Privatleben zu geben, Beweggründe für private Stellungnahmen darzulegen u.s.w. Dieses Recht gibt uns das Freiheitsgesetz. Es ist evolutionsfördernd auch darin, daß es eine nicht-aggressive Art und Weise ist, dem allgemeinen Klatsch und der allgemeinen Neugier wirksam zu begegnen.

15Von der Dankbarkeit. Jeden Tag sollten wir während einiger Minuten uns darauf besinnen, für wie unendlich viel wir dankbar zu sein haben, wieviele Vergünstigungen, Gelegenheiten, Möglichkeiten uns das Leben nahezu ständig bietet, wie wir sie besser im Dienst des Lebens ausnützen und damit vom Schuldkonto abzahlen könnten. Der Leitsatz: „Sei dankbar für alles!“

 

9.6  Aktivierung

1In der Hylozoik ist die Lehre von den drei Aspekten des Daseins grundlegend. Der Neuling wird überwältigt vom Gedanken, alles habe einen Bewußtseinsaspekt. Doch darf er dabei nicht vergessen, daß alles ebenfalls einen Kraft- oder Energieaspekt hat. Es ist nicht genug damit, höhere Arten von Bewußtsein zu entwickeln, mehr und mehr wahrzunehmen und zu verstehen. Gerade ebenso wichtig ist es, höhere Arten von Willen und Fähigkeiten, höhere Arten von Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Denn erst danach kann man auch das verwirklichen, was man verstanden hat. Die Verwirklichung liegt gerade im Bewegungs- oder Kraftaspekt.

2Immer mehr Menschen erwachen in unserer Zeit zur Einsicht, daß der Sinn des Lebens nicht in den Werten des Materieaspektes („Konsumgesellschaft“), sondern in denen des Bewußtseinsaspektes liegt. Vielleicht ist es unvermeidlich, daß diese wachsende Bewegung für ein „neues Zeitalter“ einseitig auf „höheres Bewußtsein“ als einen Selbstzweck eingerichtet wird, nachdem die meisten in der Mystik landen und beginnen, „geistige Erlebnisse“ anzustreben. Während der Mystiker Verzückungszustände als ein Endziel betrachtet und meint, damit die „Vereinigung mit Gott“ erlangt zu haben, bedeuten für den Esoteriker solche Erlebnisse jedoch „erst den Anfang“.

3Der Esoteriker weiß, daß dieser Aktivierung des Bewußtseins Auslauf auch in der physischen Welt gegeben werden muß. Es kann nicht stark genug betont werden, daß es im physischen Leben ist, durch das Herumschlagen mit seinen Problemen und ihrer Lösung, daß der Mensch alle jene Eigenschaften, welche für die höhere Evolution notwendig sind, erwirbt. Diese Eigenschaften sind essential, was bedeutet, daß sie aus menschlicher Sicht heraus vollendet sein müssen, ehe die Monade ins fünfte Naturreich übergehen kann.

4Die essentialen Eigenschaften werden durch dienende Lebenshaltung und Tätigkeit vollendet. Das Dienen bewirkt, daß wir das höhere Emotionale aktivieren und das Bewußtsein leichter dort halten. Das Dienen bewirkt, daß wir die Aufmerksamkeit von unseren eigenen Emotionen und den negativen anderer, von unseren Gefühlen der Selbsteingenommenheit, Reizbarkeit, Angriffslust und des Selbstmitleides weghalten. Das Dienen gibt uns richtigere Verhältnisse zwischen den Dingen und uns selber. Das Dienen befreit uns von vielen Illusionen und Fiktionen.

5Selbstaktivierung, nach außen gerichtete Arbeit, Dienen, sind für die wirksame Evolution notwendig, aber auch, um allzu großer unzweckmäßiger Empfindlichkeit entgegenzuwirken. Die Erklärung ist folgende. Mit der Aktivierung höheren Bewußtseins geht größere Empfindlichkeit und Empfänglichkeit für Eindrücke Hand in Hand. Dies wird zu größerer Beeinflußbarkeit und Verwundbarkeit, wenn der Mensch nicht gleichzeitig lernt, sein Bewußtsein zu überwachen, dessen Inhalt selbst zu bestimmen. Nach außen gerichtete Arbeit gewöhnt das Bewußtsein ebenfalls an Eigenaktivität, an tätige Aufmerksamkeit und wirkt damit der Neigung zu Untätigkeit, Empfänglichkeit, Beeinflußbarkeit, Verwundbarkeit wirksam entgegen.

6Ein Drittel unseres Lebens verbrauchen wir an gewöhnlichen Schlaf. Außerdem durchleben wir das meiste unserer so genannten wachen Zeit in einer Art von halbschlafendem Zustand. Dann sind wir wenig mehr als mentale Roboter, und das Ich ist weder ganz wach noch besonders aufmerksam. Wir sehen, ohne zu betrachten, hören, ohne zu horchen, sprechen, ohne zu denken, und unser Denken ist nicht viel mehr as eine Kette von mechanischen Gedankenverbindungen. Wenn wir zufällig in einen Zustand größerer Aufgewecktheit geraten, kommt es uns vor, als erwachten wir aus einem Schlaf, so daß wir keine klare Erinnerung an das, was wir soeben gemacht oder gedacht haben. Nur wenn etwas Gewisses unser Interesse einfängt, nehmen wir mit voller Aufmerksamkeit daran Teil. Aber auch in einem derartigen Zustand geschärfter Aufmerksamkeit haben wir zumeist noch kein Selbstbewußtsein, keine Erkenntnis davon, daß „ich bin jetzt hier“, „ich betrachte diese Sache“ usw. Es ist ziemlich furchterregend zu erkennen, daß wir mehr mechanisch als bewußt sind und daß wir praktisch kein Selbstbewußtsein haben. Anstatt zu erschrecken aber, könnten wir diese Erkenntnis zum Ausgangspunkt unserer Arbeit an uns selbst nehmen.

7Denn wir haben keinen Beweggrund hart zu arbeiten, um etwas zu erwerben, das wir schon zu haben glauben, nämlich Selbstbewußtsein. Ein bißchen Selbstbeobachtung genügt, um uns zu überzeugen, daß dieser Glaube Selbstbetrug ist. Nur diejenige, die eine sehr lange Zeit Selbstbeobachtung und Selbsterinnerung geübt haben, besitzen ständiges Selbstbewußtsein; wir andere besitzen es zehn Sekunde oder so bisweilen. All dies ist ein Zeichen dafür, daß das Mentale in der Menschheit noch immer schwach entwickelt ist. Der Mensch ist im Wesentlichen ein emotionales Wesen.

8Wir können jedoch unser Mentalbewußtsein und damit seine wichtigste Eigenschaft – das Selbstbewußtsein – entwickeln. Wir können lernen, unsere Gedanken zu lenken, sodaß wir selbst bestimmen, was wir denken wollen und denken nicht wollen. Wir können lernen, mit einem höheren Grad von Ichanwesenheit sowohl in der inneren, subjektiven wie in der äußeren, objektiven Wirklichkeit zu leben. Die zwei entscheidenden Faktoren sind: 1) unsere eigene Erkenntnis davon, daß wir nicht selbstbewußt sind aber es werden können und 2) unsere Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu lenken. Hie und da, während kurzer Augenblicke, erinneren wir uns dieser Tatsachen und erwachen. Danach vergessen wir uns selbst wieder und der Roboter übernimmt das Kommando. Wir haben also eine gewisse Fähigkeit der Selbsterinnerung, vergessen nur ständig, sie anzuwenden. Wir sollten uns viele Male am Tag erinnern können, dies zu tun.

9Die Schulung der Aufmerksamkeit ist die Grundlage von Aktivierungsverfahren, welche die esoterischen Schulen angewendet haben. Diese Schulung beginnt mit der Frage: „Wenn ich etwas beobachte, ist meine Aufmerksamkeit dann von irgendeiner mechanischen Tendenz gelenkt oder lenke ich sie selbst? Von einem Fernsehfilm so gefesselt werden, daß man sich selbst beinahe zwei Stunden vergißt, ist ein Beispiel von Aufmerksamkeit der niedrigsten Art: Roboterlenkung. Während eines Gesprächs mit jemandem sich selbst und den anderen beobachten ist ein Beispiel von Aufmerksamkeit der nächsthöheren Art: Ichlenkung. Aufmerksamkeit der dritten und höchsten Art wird erreicht, wenn man im Stande ist, einen äußeren Gegenstand (zum Beispiel eine Blume) oder einen inneren Gegenstand (zum Beispiel den eigenen Gedankenvorgang) zu beobachten, in demselben Augenblicke als man selbstbewußt ist („ich bin gerade jetzt hier“, „ich beobachte soeben dies“). Diese, dritte Art von Aufmerksamkeit ist demnach dobbelt gerichtet, was mit einem Pfeil, gespitzt in den beiden Enden, versinnbildlicht werden kann. Dies ist sehr schwer zu erreichen und wird nur bei seltenen Gelegenheiten erzielt. Unverdrossene, harte Arbeit hat jedoch Erfolg, sodaß man endlich einen permanenten Zustand erreicht. Eine derartige Arbeit ist notwendig, weil der erwähnte Zustand den Grund bildet, aus welchem alle höhere Arten von Bewußtsein entwickelt werden. Diese können alle als eine Reihe immer mächtigeren Arten von permanent selbstbewußter Aufmerksamkeit beschrieben werden.

10Es gibt heute ein zunehmendes Interesse an allerleien Arten von Meditation. Esoterisch kann man drei Stufen von Meditation unterscheiden: Konzentration (eine vorbereitende Stufe), Mediation im eigentlichen Sinn und Kontemplation. Konzentraton ist dasselbe wie ichgelenkte Aufmerksamkeit: man wählt einen Gegenstand aus, um ihn zu beobachten und tut dies solange wie man die Aufmerksamkeit festhalten kann, wobei man nicht gestattet fremde Gedanken oder Assoziationen, sich in den Vorgang einzumischen. Meditation ist jene höhere Art von ichgelenkter Aufmerksamkeit, worin man sich gleichzeitig seiner selbst erinnert, ausübt Selbsterinnerung: „Ich denke dies.“ Wenn man zum diesen Zeitpunkt das Selbstbewußtsein verliert, ist das Ergebnis Trance oder gewöhnlicher Schlaf. Wenn jedoch einem gelingt, das Selbstbewußtsein zu behalten, kann man die dritte Stufe, die Kontemplation, erreichen. In jenem Zustand wird es möglich, den Gegenstand der Meditation im Licht höheres Bewußtseins, sodaß das Ergebnis Illumination, höhere Einsicht, ist.

11Mann soll bedenken, daß nur solche Meditation, worin man die Aufmerksamkeit planmäßig lenkt und Selbsterinnerung ausübt, ermöglicht höheres Bewußtsein.

12Konzentration und Meditation bergen Gefahren in sich. Mit falschen Beweggründen – dem Wunsch, groß und merkwürdig zu werden, okkulte Kräfte zu bekommen, u.s.w – schaden wir uns nur selber. Stets soll der Beweggrund der sein, daß die Meditation uns besser zum Dienst an der Evolution rüste. Meditation soll niemals ungewisse Dinge oder eigene Hypothesen, sondern nur wirkliche oder wahrscheinliche Dinge berühren, sonst prägt man Fiktionen und Illusionen nur noch tiefer ins Bewußtsein ein.

13Die größte Wirkung bekommt die Meditation, wenn sie täglich und dann am besten zur gleichen Zeit ausgeführt wird. Sie soll kurz sein (5 Minuten reichen) und wird abgebrochen, sobald die Sammlung nicht mehr aufrecht erhalten werden kann und die Gedanken zu wandern beginnen.

  

9.7  Gedankenkraft

1Der Gedanke ist die stärkste, die wichtigste Kraft, welche der Mensch für seine zielbewußte Evolution anwendet. Er kann sich dabei sieben Einsichten bedienen:

2(1) Energie folgt dem Gedanken. Jeder Gedanke und jedes Gefühl ist eine Ursache, welche unausweichliche Wirkung bekommt. Auf irgendeine Weise bekommt er Gestalt. Der Folgesatz gilt gleichfalls: alles, was Gestalt annimmt, alles, was man erstrebt und zustandezubringen wünscht – zu bekommen oder zu verwirklichen – muß zuerst Gedanke gewesen sein. Alles, woran man denkt, was man betrachtet, dem man Aufmerksamkeit schenkt, wird Beeinflussung ausgesetzt. Damit wird es verstärkt und belebt.

 3(2) Der Gedanke wird durch Wiederholung verstärkt. Jene Energiewirkung, welche jedem Gedanken und jedem Gefühl folgt, wird durch Wiederholung verstärkt. Je öfter wir einen gewissen

Bewußtseinsinhalt wiederholen, desto stärker wird er, desto leichter taucht er im Bewußtsein wieder auf. Zuletzt sucht er sich automatisch in Handlung Ausdruck.

4(3) Bekämpfe das Negative nicht. Nachdem alles verstärkt wird, was das Bewußtsein betrachtet, soll man niemals unerwünschte, negative Eigenschaften bekämpfen, sich nicht in Gedanke und Gefühl bei ihnen aufhalten, nicht willensmäßig „mit der Vergangenheit brechen“, nicht gegen Fehler und Mängel ankämpfen. Dies führt nur zu hoffnungslosem Kampf gegen sie. Im Gegenteil, man läßt sie völlig unbeachtet, weigert sich entschlossen, ihnen überhaupt Aufmerksamkeit zu widmen und konzentriert sich auf entgegengesetzte, positive Eigenschaften. Damit hungert man die negativen aus, und sie verkümmern aus Mangel an Nahrung.

5(4) Der Gedanke ist unverlierbar. Nichts, was durch das aufmerksame Wachbewußtsein hindurchgegangen ist, geht jemals verloren. Alles wird im Gedächtnis, welches das Unterbewußte ist, aufbewahrt und lebt dort mit seiner größeren oder geringeren Kraft weiter. Ebenso wie das Gedächtnis, sind auch erworbene Eigenschaften unverlierbar, können latent, aber wiedererweckt werden. Hieraus folgt, daß jeder geringste positive Gedanke, jedes kleinste positive Gefühl in der großen Positivierungsarbeit eine andauernde Wirkung bekommt, zu einem größeren oder kleineren Stein im großen Bauwerk wird. Deshalb ist keine Arbeit im Dienste des Guten vergebens.

6(5) Der Gedanke ist unerschöpflich. Es ist dies nur eine andere Formulierung des Gesetzes des Gebens, welches besagt: „Wer gibt, bekommt. Wer zurückhält, verliert.“ Wir sollen nie befürchten, daß wir jemals in unserer fortlaufenden Eroberung der Fähigkeiten des Gedankens zu einer Grenze kommen könnten, solange wir ständig an andere dasjenige weitergeben, was wir selbst bekommen haben. In diesem Ausgeben brauchen wir gleichfalls nie befürchten, daß wir „entleert“ oder selbst zuletzt ohne verbleiben könnten. Je mehr wir geben, desto mehr bekommen wir zum Ausgeben. Jene Kräfte, welche uns aufrecht erhalten, bewirken dies nicht, indem sie in uns gespeichert werden, sondern indem sie uns durchströmen. Oder, um ein Gleichnis aus der Bibel anzuwenden: Man kann auf dem Wasser gehen, aber nicht darauf stehen.

7(6) Alle Dinge sind Sinnbilder. Physisches Geschehen, Handlungen oder Gegenstände sind entweder oder können zu Sinnbildern für Bewußtseinszustände und innere Eigenschaften werden und uns an sie erinnern. Dieses Gesetz des Sinnbildes wenden wir zumeist negativ an. Geschehnisse, Menschen, Dinge dienen dazu, uns an negative Erlebnisse zu erinnern, die wir im Zusammenhang mit ihnen oder mit ihnen ähnlichen gehabt haben. Die Sinnbilder leben im Unterbewußten ihr eigenes Leben und wirken von dort aus zerstörend in Form von Abneigungen jenseits jeglicher Vernunft, Hemmungen und Furchtkomplexen. Der Mensch kann jedoch von sich aus physisches Geschehen zu Sinnbildern innerer positiver Zustände und Eigenschaften machen: Freude, Mut, Zutrauen, Freimachung, Liebe, Ermutigung und so weiter.

8(7) Der Gedanke macht uns durch Entidentifizierung frei. Wir werden an das gebunden, womit wir uns identifizieren. Fast alle unsere Bewußtseinsäußerungen werden davon gekennzeichnet, daß sie mechanisch sind, Selbstbewußtseins entbehren und Identifizierung bewirken. Diese drei Kennzeichen sind nur drei verschiedene Seiten von einem und demselben Zustand. Identifizierung ist ein so häufiger Zustand, daß wie sie kaum bemerken; sie das Wasser worin wir wie Fische leben und schwimmen. Identifizierung kann man ganz allgemein als eine mechanische Kraft in uns beschreiben, welche unsere Aufmerksamkeit an einen Gegenstand – eine Sache, einen Menschen, ein Ereignis, einen Gedanke, ein Gefühl usw. – so lenkt, daß wir davon völlig verschlungen werden, wobei wir augenblicklich auch unsere Fähigkeit zu Selbsterinnerung, Selbstbewußtsein und Wille verloren. Wenn wir uns mit etwas identifizieren, sind wir uns nicht bewußt, daß wir etwas anderes sind als gerade dieses. Dies bringt mit sich, daß wir diesem Andern, diesem „Nicht-Ich“ gestatten, uns zu lenken.

9Man kann folgenden Versuch machen. Jeder Mensch, welcher überhaupt zur Selbstbeobachtung fähig ist, weiß, daß es gewisse zurückkommende Situationen gibt, welche negativ und unnötig sind und welche von ihm selbst verursacht werden. Es kann sich zum Beispiel um einen Konflikt mit einem anderen Menschen, um seine eigene Forderung nach Rücksicht anderer usw. Das Negative verschlingt uns, sodaß wir uns augenblicklich anderer Dinge nicht bewußt sind – wir identifizieren uns mit den negativen Gefühlen. Dann sagen wir: „ich bin böse“, „ich bin betrübt“, „ich bin beleidigt“ usw. Der Vesuch besteht nun darin, daß man bestrebt ist, „sich selbst zu fangen“, ehe man von dieser Negativität mit hingerissen werde. Mit anderen Worten: man versucht, Selbsterinnerung auszuüben gerade vor solchen Situationen. Der Versuch muß vielmals gemacht werden, bevor man beginnt, Resultate zu bemerken, und es gibt drei Stufen von zunehmendem Erfolg. Auf der ersten Stufe, entsinnt man sich erst lange hinterher, daß man versuchen sollte, „sich selbst zu fangen“. Auf der zweiten Stufe entsinnt man sich – aber gerade hinterher und demnach ohnehin zu spät – und man verlässt die Identifizierung erkennend: „Jetzt bin ich wach, vor einem Augenblick war ich in sehr tiefem Schlaf.“ Die dritte Stufe ist die des Erfolgs: man wird beizeiten wach und hindert seinen inneren Roboter, die Oberhand zu gewinnen.

10Der soeben beschriebene Versuch ist doppelt wertvoll. Er zeigt uns, daß wir Roboter sind und schlafen aber auch, daß wir selbstbewußte, wache Wesen werden können. Er zeigt uns einen Weg zur Verbesserung der Verhältnisse mit anderen Menschen.

11Einige Erkenntnisse, die uns auch behilflich sein können: Sag nicht: „Ich ärgerte mich.“ Sag: „Ein Gefühl von Zorn gewann Macht über mich.“ Alle Lebenskunst kann in diesen Worten zusammengefaßt werden: „Ich bin nicht meine Hüllen. Meine Hüllen wollen dies, ich aber will es nicht.“   

 

9.8  Aktivierungsverfahren

1Folgende sechs Aktivierungsverfahren gründen sich auf die sieben Einsichten von der Kraft des Gedankens. Sie sind wirksam, falls sie regelmäßig angewendet werden. Und sie haben keine negativen Wirkungen, wenn sie auf die im Kapitel 9.6 empfohlene Weise angewendet werden.

2(1) Selbstbeobachtung. Man übt sich darin, sich selbst, seine inneren Zustände, zu beobachten. Man versucht, sie nicht zu lenken oder zu beeinflussen, sie nicht zu unterdrücken, nicht auf irgendeine Weise zu reagieren, nicht zu analysieren und am allerwenigsten zu kritisieren. Nur die endlose Flucht des Gedankens beobachten, sehen, wie die eine Gedankenverbindung der anderen ohne Aufenthalt folgt. Man ist ganz auf die Selbstbeobachtung gesammelt, solange man sie ausübt, bricht sie aber ab, sobald man die geringsten Anzeichen von Unbehagen oder Stress verspürt. Diese Übung kann man ausführen sooft es einem gefällt, jedes Mal einige Minuten lang.

3Mit der Zeit merkt man die positiven Wirkungen dieser einfachen Übung. Unruhe und Zersplitterung (welche zumeist auf telepathischem Massendruck beruhen) nehmen ab, die Sammlung, die Ruhe, der innere Einklang nehmen zu. Unerwünschte Gefühle und Gedanken machen sich nicht länger soviel geltend wie vorher. Oft verklingen sie von selbst, ehe sie die Schwelle des Wachbewußtseins erreicht haben.

4(2) Meditation über wünschenswerte Eigenschaften. Man sammelt die Aufmerksamkeit auf eine besondere, ausgewählte Eigenschaft während höchstens fünf Minuten. Man betrachtet sie aus allen Blickwinkeln, denkt sich, wie sie an Stärke wächst, visualisiert sich selbst in Lagen, wo sie auf die Probe gestellt wird. Die Übung soll jeden Tag, am besten zum gleichen Zeitpunkt, ausgeführt werden, wobei man regelmäßig zwischen verschiedenen Eigenschaften abwechseln kann. Wenn die Übung Ergebnis zeitigen soll, darf sie nicht nur eine intellektuelle Tätigkeit werden. Gefühl und Phantasie müssen dabei sein können, sodaß die betreffenden Eigenschaften Ziel lebender Sehnsucht werden. Auch diese Einstellung kann in Meditation geschult werden.

5Meditation über Eigenschaften erleichtert ihren Erwerb. Bewunderung ist eine mächtige Kraft bei der Verwirklichung von Idealen. Ein kleiner Junge hörte einmal seine Eltern mit Bewunderung von einem Mann sprechen, der bei einem Schiffsunglück mit größter Geistesgegenwart mehreren Personen das Leben gerettet hatte. Dies machte auf den Jungen einen unauslöschlichen Eindruck. Jedes Mal, wenn er später von Katastrophen hörte oder las, lebte er sich ein, wie er in entsprechender Lage gehandelt haben würde. Als Erwachsener war er bei einem schweren Zugsunglück der einzige, der einen kühlen Kopf bewahrte und für seine Mitmenschen einen großen Einsatz machen konnte. Unbewußt hatte er über die Eigenschaft der Geistesgegenwart meditiert und sie damit erworben.

6(3) Visualisierung. Man beobachtet einen Gegenstand eingehend eine Minute lang. Dann schließt man die Augen oder bedeckt den Gegenstand und versucht, ihn vor seinem inneren Auge so getreu und reich an Einzelheiten wie möglich wiederzuerschaffen. Es ist eine Sache der Veranlagung, ob man es vorzieht, mit offenen oder geschlossenen Augen zu visualisieren – beide Verfahren sind gleichwertig. Man kann selbstverständlich Bilder aus dem Gedächtnis visualisieren, in Gedanken Buchstaben und Ziffern auf eine schwarze Tafel schreiben, Gesichter, die man während des Tages gesehen hat, wieder hervorrufen und so weiter. Visualisierung steigert die Sammlungsfähigkeit und aktiviert das Mentale.

7(4) Ockultationen werden Handlungen des „Heldenmutes in Miniatur“ genannt, was bedeutet, daß wir das genaue Gegenteil dessen tun, was der bequemere Teil unseres Bewußtseins will und ohne daß wir inneren Widerstand leisten. Beispielsweise die Treppe hinaufzugehen anstatt den Aufzug zu benutzen, nicht den Fernsehfilm da anzusehen, sondern stattdem mit dem Hund auszugehen. Zwei Sachen sind wichtig: Daß die Handlung dem Entschluß unmittelbar folgt, ohne Vorbereitung, Nachdenken oder Überredung. Daß die Handlung mit guter Laune und ohne negative Gefühle ausgeführt wird.

8Ockultationen stärken den Mentalwillen, schwächen die Neigung zu Untätigkeit und Negativität. Sie können beliebig oft ausgeführt werden. Besonders wertvoll werden sie, wenn wir damit unsere Beziehungen zu anderen verbessern können. Wir können die Negativität und Streitsucht anderer zu jenen „geistigen Sprossenwänden“ werden lassen, auf denen wir unseren positiven Willen üben – indem wir ruhig und unverändert artig bleiben trotz der Unverschämtheiten, denen wir ausgesetzt werden. Dies ist Training im Willen zur Einheit.

9(5) Ladung. Während höchstens einer Minute sammelt man die Aufmerksamkeit intensiv auf einer gewissen positiven Idee oder Eigenschaft und denkt sich gleichzeitig diese gesammelte Kraft auf einen Gegenstand oder eine Handlung überführt. Dann schaltet man die Aufmerksamkeit ab und denkt an etwas anderes.

10Die Wirkung ist ebenso wirklich wie die Kraftüberführung  – nach dem Gesetz, daß Energie dem Gedanken folgt. Gedanke an Kraft ist Kraft und gibt Kraft. Man macht dadurch die Umgebung und sich selber positiv. Die Ladung bleibt  während langer Zeit erhalten und wird durch wiederholte Aufladungen verstärkt. Erneuter Kontakt oder auch nur die Gedankenverbindung mit dem Geladenen beschwört die positive Idee im Bewußtsein des Laders herauf nach dem Gesetz, daß alle Dinge Sinnbilder sind. Auf diese Weise kann man sich mit einem ganzen Satz von psychischen Kraftstationen, welche verschiedene Arten positiver Energie strahlen, umgeben. Man kann mit positiver Energie Gaben, Dienstleistungen, Handschläge, alles, was man will, laden.

11Nur eine Warnung: Gib „unwürdigen“, böswilligen Menschen, die Gutes mit Bösem vergelten, keine Energie. „Liebe ist eine unpersönliche Energie“ – ein esoterisches Axiom. Unter anderem bedeutet dies, daß wir mit unseren Liebesenergien, falls sie stark genug sind, jene verschiedenen Arten von Neigungen, die es bei dem betreffenden Menschen bereits gibt, verstärken. Sind diese überwiegend negativ, so werden sie am meisten verstärkt, gleichsam wie die Strahlen der Sonne sowohl Disteln wie auch schöne Blumen keimen lassen.

12(6) Selbsterinnerung. Diese Übung gründet sich auf was im Kapitel 9.6 gesagt wurde. Man trifft die Abmachung mit sich selbst, daß man, zum Beispiel wenigstens je drei Minuten dreimal täglich, sich seiner selbst erinnert. Wenn man glaubt, dies sei eine zu kleine Verpflichtung, soll man prüfen, ob man es einmal während einer Woche fertig bringt. Dies ist in der Tat eine sehr harte Arbeit, aber notwendig, wenn man sich zum Ziele gesetzt hat, Selbstbewußtsein zu schaffen.

13Man muß seine eigene Versuche machen, um sich zu überzeugen, warum es besser ist, sich seiner selbst zu erinnern, als es nicht zu tun. Dabei findet man, daß das beste Verfahren darin besteht, daß man verschiedene Berwußtseinszustände vergleicht: man ist stets unterwegs aus einem Zustand relatives Wachseins oder Selbstbewußtseins zu einem Zustand relatives Schlafs oder relativer Maschinenmäßigkeit oder umgekehrt: unterwegs aus relativem Schlaf zu relativem Wachsein. Man kann zum Beispiel sich die Frage stellen über etwas, das man sich bereuet: hätte ich es je tun können, wenn ich in einem Zustand der Selbsterinnerung gewesen wäre? 

14Es kostet viel Zeit, das rechte Verfahren der Selbsterinnerung zu erlernen. Es erinnert an das Radfahren-Lernen: jeder normaler Mensch kann es lernen, es ist unmöglich, es auf Anhieb schaffen, aber plötzlich bringt man es fertig. Zum Unterschied vom Radfahren-Lernen muß man die Fähigkeit wieder erwerben jedesmal, wenn man sich erinnert, daß man sich selber erinnern soll. Und es dauert lange, bis man lernt, den Unterschied zwischen eingebildeter Selbsterinnerung und wirklicher Selbsterinnerung: derselbe Unterschied, der es besteht zwischen dem Gedanke an Arbeit und wirklicher Arbeit. Wirkliche Selbsterinnerung hat die Eigenschaft etwas Fremdes, gleichsam als man eines Morgens aufwachet, nachdem man in einem fremdem Haus geschlafen hat: „Ich bin hier. Wie sonderbar!“ Wirkliche Selbsterinnerung wird davon gekennzeichnet, daß die Eindrücke stärker, schärfer, mehr lebendig werden. Sie wird auch von einem ruhigen aber starken Gefühl von Optimismus begleitet, gleichsam bei den Mystikern, welche behaupten, daß „alles sehr gut ist“. Eine wichtige Eigenschaft der Selbsterinnerung ist diejenige, daß sie nie die normalen Wahrnehmungsfunktionen hindert oder verschlechtert, ob es sich um Gedanke, Gefühl oder Bewegung  handelt. Sie steht jenen Funktionen „über“, stiehlt ihnen Güte nicht, sondern umgekehrt führt ihnen Güte zu.

15Selbsterinnerung liegt in sehr vielen Güteklassen einer steigenden Skala vor. Mit der Zeit lernt man, immer mehr in sie hineinzulegen, sie in Verbindung mit mehr und größeren Ideen zu benutzen, nach mehr Richtungen zu beobachten, mehr Wahrnehmungsfunktionen gleichzeitig ins Werk zu setzen: Gedanke, Gefühl, Sinneswahrnehmung und Bewegung mit Ichdasein und Absichtlichkeit. Hat man diese eigene Welt der Selbsterinnerung einmal entdeckt, wird man niemals das Ende ihres Reichtums sehen.

 

Der obige Text ist dem Buch Die Erklärung entnommen. Copyright © by Lars Adelskogh 2007.